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"Ich glaube, dass ich für die Sinnhaftigkeit oder Sinnlosigkeit des Lebens nicht verantwortlich bin, dass ich aber dafür verantwortlich bin, was ich selber mit meinem eigenen, einmaligen Leben anfange." Dieses Wort stammt von dem deutsch-schweizerischen Dichter Hermann Hesse. Jeder Mensch ist einmalig und einzigartig und trägt in sich seine je eigenen Talente und Fähigkeiten, das Leben positiv, lebensförderlich oder auch negativ, lebenszerstörend mitzugestalten.
Wie im Gleichnis von den Talenten an diesem Sonntag (Mt 25,14-30) ist es auch im realen Leben. Die einen haben viele Talente mitbekommen, die anderen wenige. Schwierig wird es dann, wenn Menschen beginnen zu vergleichen und zu werten bzw. von ihrer Position aus das menschliche Gegenüber bewerten und neidisch auf die anderen schielen, weil sie mehr haben als sie selbst. Genauso problematisch ist es, wenn die "reich Begabten" auf die anderen herabsehen und sie als ihnen ungleichwertig, minderwertig belächeln.
Entsprechend der Bildgeschichte des Gleichnisses, in denen der Herr seinen Dienerinnen und Dienern Beträge gibt, die einem Lebensunterhalt von 20, 40 und 96 Jahren entsprechen, ist schon ein einziges von Gott geschenktes Talent unendlich wertvoll und trägt ein Stück "ewiges Leben" in sich. Wichtig ist, dass alle Beschenkten eingeladen sind, ihre Fähigkeiten zu nutzen, um schon im Hier und Jetzt das Himmelreich anbrechen zu lassen.
Und ist es im Leben von Christen und Christinnen nicht allzu oft ganz anders: Das Leben wird - so meine Hypothese - einzig im Blick auf das "belohnende oder bestrafende Ende" gesehen. Daher gilt es sich abzusichern, mit guten Taten, Gebeten, Opfern, um den Himmel, das ewige Leben zu gewinnen.
Doch: Wo und wann verheißt Jesus den Seinen solch absolute Sicherheit in diesem oder für das andere Leben? Warnt er im Gegenteil nicht eindringlich vor Selbstzufriedenheit und Sattheit (Lk 6,25), vor dem menschlich allzu verständlichen Streben nach Sicherheit und Bequemlichkeit (Lk 12,16-21)?
In dieser Woche hatte ich ein Telefongespräch mit einem jungen Mann, der mir darlegte, warum er aus der Kirche ausgetreten ist. Die Anbetung von Maria und Heiligen, der heilsrelevante Absicherungsmechanismus durch die Kindertaufe, die vordergründigen "frommen Werke" verstellten ihm den Blick auf die Erlösung, die Barmherzigkeit, die Gerechtigkeit Gottes, auf das Wort vom Heil angefangen im Alten Testament bis zum letzten Buch der Bibel, der Offenbarung.
Dieses Gespräch hat mich tief berührt und nachdenklich gemacht.
Im Blick auf die judenchristliche Gemeinde des Matthäus, die Mitglieder aufnahm, wenn sie vorher Juden wurden und die so ein Problem mit den Heidenchristen hatte, weil sie eben auf ganz anderen Wegen zum Glauben und zur Gemeinde fanden. Und daher will Matthäus seine Gemeinde ermutigen, auf die unterschiedlichen von Gott gegebenen Talente zu sehen und dass alle zum Reich Gottes beitragen. Er will ermutigen, sich nicht ständig abzusichern und so letztlich das erfüllte Leben zu verspielen, sondern sich zu trauen, das Leben manchmal auch auf ungewöhnlichen, riskanten Wegen zu gestalten. Der verstorbene Bischof von Augsburg Georg Moser sagte einmal: "Eine Kirche, die nichts riskiert, riskiert am Ende alles."
Mit diesem Evangelium lädt uns Gott ein: Trau dich zu leben. Sieh auf deine Talente und lebe, was in dir steckt, damit mein Reich sichtbar wird und weiterwachsen kann und der Himmel auf Erden erfahrbar wird.
(Übersetzung aus der revidierte Einheitsübersetzung 2016)
14 Es ist wie mit einem Mann, der auf Reisen ging.
Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an.
15 Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei,
wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten.
Dann reiste er ab.
16 Sofort ging der Diener, der die fünf Talente erhalten hatte hin,
wirtschaftete mit ihnen und gewann noch fünf weitere dazu.
17 Ebenso gewann der, der zwei erhalten hatte, noch zwei weitere dazu.
18 Der aber, der das eine Talent erhalten hatte,
ging und grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Herrn.
19 Nach langer Zeit kehrte der Herr jener Diener zurück und hielt Abrechnung mit ihnen.
20 Da kam der, der die fünf Talente erhalten hatte, brachte fünf weitere und sagte:
Herr, fünf Talente hast du mir gegeben; sieh her, ich habe noch fünf dazugewonnen.
21 Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener.
Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen.
Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn!
22 Dann kam der Diener, der zwei Talente erhalten hatte, und sagte:
Herr, du hast mir zwei Talente gegeben; sieh her, ich habe noch zwei dazugewonnen.
23 Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener.
Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen.
Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn!
24 Es kam aber auch der Diener, der das eine Talent erhalten hatte, und sagte:
Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mensch bist;
du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast;
25 weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt.
Sieh her, hier hast du das Deine.
26 Sein Herr antwortete und sprach zu ihm:
Du bist ein schlechter und fauler Diener!
Du hast gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe,
und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe.
27 Du hättest mein Geld auf die Bank bringen müssen,
dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten.
28 Nehmt ihm also das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat!
29 Denn wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben;
wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat.
30 Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis!
Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.
Guter Gott,
Hände hast du mir gegeben,
Geist, Gefühl, Energie.
Talente und Fähigkeiten hast du mir geschenkt.
Ich will mit meinen Händen an deinem Reich mit bauen,
mit meinem Geist die Möglichkeiten ertasten,
mit meinem Gefühl das Rechte erspüren,
mit meiner Energie alle Hürden überwinden,
mit meinen Talenten und Fähigkeiten
das Reich Gottes erfahrbar machen im Hier und Jetzt.
Ich möchte nicht ängstlich das Leben absichern,
sondern wagen und riskieren für ein Stück "Mehr-Wert-Leben".
Schenke mir dazu deine göttliche Kraft.
Amen.
(33. Sonntag im Jahreskreis Lsj A – 12.11.2020 © Christian Scheinost)